In der therapeutischen Arbeit geht es unter anderem um die Aktivierung von Ressourcen. Eine Ressource ist etwas, das Menschen unterstützt, die Herausforderungen die das Leben stellt, zu meistern. Das können Menschen sein, Tiere, Beschäftigungen, Talente, die Natur etc. Eben alles, was dazu beiträgt, dass die Hürden des Lebens überwindbarer werden.
Ich beziehe mich auf Bettina Siebert-Blaesing, die in der Zeitschrift Familiendynamik (47, 276-283) Geduld als Ressource und als Tool zur Gesundheitsförderung in Zeiten von Krise und Selbstoptimierung beforscht und beschrieben hat.
Alles schön und gut, aber wie kommen wir und vor allem junge Menschen zu Geduld?
Förderliche Lernbedingungen für diese Ressource ist das „Lernen am Modell“ (von Bandura), also das Abschauen von Verhalten der relevanten Bezugspersonen. Wieder ist es scheinbar das mütterliche Ruheverhalten, das besonders dazu beiträgt. (Wahrscheinlich wäre das väterliche, ruhige Verhalten genauso tauglich, aber in den meisten Welten, sind es die Mütter, die das Hauptrollenmodell für ihre Kinder abgeben). Geduld ist das Warten auf Erwünschtes und das Aushalten und Verzichten darauf. Stichwort Frustrationstoleranz. Diese können Kinder von klein auf schulen, indem ihnen genau das zugemutet wird. In einer Welt, in der Konsumwünsche fast jederzeit erfüllt werden können, oder mit Hilfe von Google jede Frage sekundenschnell beantwortet werden kann, blitzschnelle whats app Kommunikation tagelangen Postweg ersetzt, um nur einige Beispiele zu nennen, ist genau das für unsere jungen Leute gar nicht so leicht.
Gesellschaftsspiele sind eine perfekte Übung. Kinder lernen zu warten bis sie drankommen und auch zu verlieren. Weiters werden empathische und motivierende Lernbegleiter, die eine wertschätzende und geduldige Lernkultur prägen, als geduldfördernd genannt. Statt Bildungs- und Erfolgsdruck braucht es Muße und Ritualisierung. Erfolgsdruck behindert das Erlernen von Geduld sowie leider auch anderer Softskills wie Empathie, Konfliktbereitschaft und Kreativität. Der Selbstoptimierungswahn (powered by social media) gefährdet die sorgsame Reifung der Persönlichkeit junger Menschen. Früh, selbstbestimmt und in Ruhe eigene Entscheidungen treffen zu dürfen ist nicht nur die beste burn-out Prophylaxe, sondern pusht auch die Geduld.
Eine Verwandte der Geduld, die Achtsamkeit (die Fokussierung auf das Hier und Jetzt, also das gegenwärtige Erleben) ist ebenso eine wesentliche Lebensressource. Geduld aber meint das Durchhalten in einem längeren Prozess. Oft wird Geduld als Lebensressource erst in einer krisenhaften Phase gelernt. Impulse aus der Hirnforschung, systemischer und burn-out Forschung, Reflexionen zu Spiritualität und Mystik, sowie zur Achtsamkeit legen nahe, dass junge Menschen sich vor allem dann in Geduld schulen, wenn sie im Leben mit Krisen konfrontiert werden und ihnen das Durchstehen dieser zugemutet wird.
Erfahrungen des Gelingens, des Erfolgs und Geliebt-Werdens auch Scheitern, Ausgrenzung, Nicht-Gemocht-Werden, Demütigung, Überforderung, Krankheit, Einsamkeit, Armut, Sterben, Unsicherheit und Hilflosigkeit und kleinere Frustrationen können helfen, die wichtige Lebens- und Entwicklungsressource Geduld zu lernen, sofern wohlwollende Begleiter:innen den jungen Menschen geduldig begegnen. Für die Therapie mit Heranwachsenden lässt sich aus der Studie ableiten, dass ein kurzfristiges Training weniger bewirkt als eine dialogische Begegnungssituation. Die letztere, wie es etwas eine Therapiesitzung schafft, dient als nachhaltige Lernerfahrung.
Unsere derzeitig sehr krisenhaft scheinende Zeit schreit eigentlich nach einem Mehr an Geduld, um der Ohnmacht, der Wut und der Angst her zu werden, die uns alle bedroht.
Gefühle wie Ruhe, Gelassenheit und innerer Frieden entstehen, wenn Geduld erlebt und gelebt wird.