Nachdem der vorletzte Blog-Beitrag vom Ende des Lebens handelte, braucht es auch wieder etwas von der anderen Seite des Lebensspektrums: Die Zeit der Pubertät ist eine besondere Entwicklungszeit, in der sehr viele Weichen für das spätere Leben gestellt werden. Der Totalumbau des jugendlichen Gehirns ist der Grund, warum Jugendliche beispielsweise sehr kreativ sind.
Sarah-Jayne Blakemore bringt uns mit ihrem vor kurzem erschienenem Werk: Das Teenager Gehirn –Die entscheidenden Jahre unserer Entwicklung auf den aktuellen Forschungsstand was vor allem das pubertierende Gehirn anbelangt. Die Professorin für Kognitive Neurowissenschaften schreibt Ihre Erkenntnisse so nieder, dass sie auch vom interessierten Laien ohne Vorwissen leicht gelesen werden können.
Durch die neueren Forschungsmethoden (funktionelle MRI-Untersuchungen statt Gehirnschnitte) lässt sich Folgendes über Teenagergehirne und die Zeit der Pubertät sagen:
- Das Gehirn befindet sich in einem totalen Umbau, der mit ca. 11-12 Jahren beginnt und erst mit ungefähr 25 Jahren abgeschlossen ist. Danach bleibt das Gehirn weiter plastisch und bleibt veränderbar.
- Es handelt sich um eine wertvolle Entwicklungsphase, die mit verstärkter Kreativität und unkonventionellem Denken, Energie und Leidenschaft daherkommt (S. 252). Jugendliche tun sich leichter als Erwachsene, sich originelle Ideen und Lösungen für Probleme auszudenken.
- Diese Phase ist dann zu Ende, wenn der Heranwachsende seinen oder ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden hat und mehr weiß, wer er oder sie sein möchte.
- Das Hochrisikoverhalten der jungen Erwachsenen wird eher durch die Beobachtung von Peers gepusht und ist nicht per se Teil des Verhaltensspektrums. Auch soziale Medien wie Facebook, Instagram oder Snapchat bedienen den Eindruck, beobachtet zu werden und was andere über den Poster denken, ist nicht unwesentlich (S. 48f.) Stichwort: „Likes“. So sind junge Leute häufiger in Unfälle verwickelt, wenn ein Beifahrer dabei ist. Auch Straftaten begehen Jugendliche eher, wenn sie mit Freunden zusammen sind. Das Risikoverhalten und die besondere Neugier von Teenager sind aber dringend notwendig, damit sie erfolgreich sein können. Durch das in Kauf nehmen von Risken, wagen sie es, Fragen zu stellen, Entscheidungen selbständig zu treffen und sich auszuprobieren. „Teenager sollten ermutigt werden, die richtigen Risiken auf sich zu nehmen!“ (S. 245f.)
- In der späten Adoleszenz (18.-25. Lebensjahr) ist das Gehirn besonders anfällig für psychische Krankheiten wie krankhafte Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Essstörungen und Depressionen. In dieser Zeit manifestieren sich leider bei manchen Menschen entwicklungsbedingte Störungen wie die Schizophrenie. Man vermutet u. a. eine genetische Komponente, Drogenkonsum (insbesondere Cannabisgebrauch), Stadtleben, Ablehnung, soziale Isolationen als Risikofaktoren für die Entstehung von Schizophrenie.
- Cannabiskonsum vor dem 18. Lebensjahr ist für die kognitiven Fähigkeiten schädlicher als der Konsum in späteren Jahren. Die Studien zeigen auch, dass Alkoholkonsum in jungen Jahren weniger „Sofortnachteile“ wie Kater oder Müdigkeit hat.
- Interessanterweise wurde noch kaum darüber geforscht, wie sich Medienkonsum auf die Gehirne von Heranwachsenden auswirkt. Wir wissen praktisch nichts darüber.
- Das Gehirn von Heranwachsenden unterscheidet sich physisch von dem, kleinerer Kinder und dem Erwachsener.
- Jugendliche hätten einen anderen Wach- und Schlafrhythmus würden wir es zulassen. Es wäre förderlich, würde die Schule erst am späten Vormittag beginnen und länger dauern. Viele leiden am Wochenende an einem „sozialen Jetlag“ und holen den versäumten Schlaf tagsüber nach.
- Die Phase von Sturm und Drangs geht einher mit unkontrollierbaren und widersprüchlichen Gefühlen. Energie und Überschwang folgen oft rasch Gleichgültigkeit, Teilnahmslosigkeit und Melancholie.
- Kinder brauchen zum Großwerden und Gedeihen dauerhafte Förderung und Forderung, eine fürsorgliche Umgebung und emotionale Unterstützung. Vernachlässigung von Kindern ist auch für die Gehirnentwicklung schädlich. Das kann ich unterstreichen. Aus der psychotherapeutischen Arbeit kenne ich Eltern, die denken, wenn ihr Kind 14 ist, braucht es kaum mehr Unterstützung, da es schon so selbständig ist. Oft wird ihnen ihr Irrtum erst Jahre später bewusst. Ich glaube nicht, dass dem so ist. Dranbleiben, die Beziehung halten und da sein, wenn Bedarf signalisiert wird bestimmt, welches Ich, welches Selbst ein Kind entwickelt.
- Die Adoleszenz ist eine spannende Zeit und die Erinnerungen an Erlebnisse dieser Zeit bleiben lebhafter und halten länger an, als solche in anderen Lebensphasen.
- „Die Adoleszenz ist die Lebensphase, in der wir ein weitrechendes Gespür für uns selbst entwickeln und insbesondere darauf achten, wie andere uns sehen. Der lange Weg der Adoleszenz rüstet uns mit einem Gefühl der eigenen Identität und einem Verständnis für andere Menschen aus, so dass wir zu selbständigen Erwachsenen werden können, die nicht mehr so stark auf ihre Eltern und Familien angewiesen sind und sich in der Gruppe der Gleichaltrigen etablieren. Die Adoleszenz ist ebenso wie die Kindheit eine Zeit der Entwicklung und des Wandels. … Das Teenagergehirn ist nicht kaputt. Die Adoleszenz ist eine Lebensphase, in der das Gehirn wichtige Veränderungen durchmacht: Das sollten wir verstehen, fördern und uns darüber freuen (S. 260ff.).