Der Autor Peter Wittkamp, selbst Betroffener von Zwangsstörungen (Grübelzwang, Zwangshandlungen, magisches Denken), erzählt sehr offen über sein Leben mit den Zwängen, seinem Umgang mit denselbigen und was ihm geholfen hat. Ich verrate es gleich vorweg – und es ist einfach zu merken, weil ein Werbespruch eines großen göttlichen Sportkonzerns so ähnlich geht: „Just don’t do it!“
Als ob es so einfach wäre, nicht mehr den Herd zu kontrollieren, ob er denn ja abgedreht ist, oder das übertriebene Händewaschen einfach sein zu lassen. Das Buch ist erfrischend, mal witzig (der Autor verdient sein Leben u. a. mit Gag-Schreiben für’s deutsche Fernsehen), mal tragisch-traurig und auf alle Fälle aufschlussreich für alle Beteiligten: Betroffene von Zwangsstörungen oder OCD – wie es im Englischen heißt (obsessive compulsive disorder) – und deren Mitmenschen.
Falls Sie nicht gerne lesen – tun Sie sich keinen Zwang an (schlechter Scherz) und beginnen Sie doch auf S. 286 am Ende des Buches. Wittkamp gibt 10 geniale OCD Life Hacks, die da sind:
- Sprechen Sie laut aus, was der Zwang von Ihnen will. Es hilft, zu erkennen, wie sinnlos und übertrieben der Zwang ist. z. b. Ich kann erst Feierabend machen, wenn ich die Haustür fünf Mal und den Herd sieben Mal kontrolliert habe. Dabei darf ich nicht an den Tod oder etwas Trauriges denken, sonst beginnt der Kontrollgang von vorne. – Denn, wie der Autor schreibt: „Im Kopf führen diese Gedanken relativ ungestört ein Eigenleben. Genau das sollte man unterbinden. „Der Gedanke muss an die frische Luft“, würde Hape Kerkeling sagen.“ (S. 287)
- Sprechen Sie den kompletten Zwang mit allen Befürchtungen aus. z. B. Der Zwang möchte, dass ich die Kleidung nicht anziehe, die ich beim letzten Besuch in der Ambulanz anhatte. Der Arzt war nämlich dunkelhäutig. Möglicherweise hat er mich mit HIV infiziert. Diese Krankheit kommt ja aus Afrika. So könnte es tatsächlich sein. Verrückt, was der Zwang Ihnen so alles einredet!
- Machen Sie ruhig auch mal Scherze über Ihren Zwang. Auch das kann helfen, den Zwängen ein bisschen die Kraft zu nehmen.
- Erinnern Sie sich daran, wie oft nichts passiert ist. Der Zwang ist eine Drama Queen, die man keinesfalls immer ernst nehmen soll.
- Zählen Sie mit. Notieren Sie (z. b. am Handy), wie oft pro Tag Sie Ihren Zwängen nachgeben. So lässt sich statistisch gut beobachten, wie es um die eigene Psyche steht.
- Verschieben Sie den Zwang: Merken Sie, dass Sie gerne Ihrem Zwang nachgeben würden, verschieben Sie ihn für 10 Minuten, eine Stunde, morgen, das soll bei leichten Zwängen möglich sein.
- Packen Sie den Zwang bei der Wurzel: Statt: Wie könnte ich meine Hände seltener waschen, Lieber so: Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn da noch ein paar Baktierien auf meinen Händen sind?
- Bleiben Sie nicht allein! Nicht einigeln, das liebt der Zwang.
- Reden Sie mit anderen Zwangskranken/über Ihre Zwangsgedanken …
- Es ist nur ein Kobold in Ihrem Kopf, der Ihnen das alles nur einflüstert. Es sind seine Gedanken, nicht Ihre! „Es ist zwar ärgerlich, dass ich sein Vermieter bin und ihn, trotz dringenden Eigenbedarfs, nicht aus seiner Wohnung da oben schmeißen kann – auch wenn der kleine Troll noch nie seine Miete bezahlt hat. Aber mir auch noch anhören, was er den ganzen Tag da oben vor sich hin plappert, das muss nun wirklich nicht sein.“
- Der 11. hack kommt von mir: Suchen sie einen Therapeuten/eine Therapeutin auf, wenn sie merken, dass Sie Handlungen vollbringen MÜSSEN, die Ihnen Ihren Alltag erschweren oder sogar boykottieren. Zwänge sind wahre Zeiträuber und machen den normalen Alltag sehr anstrengend. Zwänge chronifizieren eher. Von selber werden sie nicht weniger. Ein früher Behandlungsstart ist wesentlich. Zwänge treten oft schon bei jungen Menschen während der Pubertät auf. Oft braucht es auch psychiatrische Hilfe, ambulant oder stationär und Medikamente.
Ein Bild, dass ich als sehr nützlich empfinde, behandelt die Folgen, die entstehen, gibt man einem seiner kleinen Zwänge nach. (Mitzählen!): „Stellen Sie sich vor, Sie haben fünf dreijährige Kleinkinder und einen offenen Eimer blauer Wandfarbe in einem Zimmer. Sie erlauben einem der Kinder ausnahmsweise, vorsichtig ein wenig mit der Farbe zu spielen, verbieten es aber den anderen vier. Dann verlassen Sie das Zimmer und kehren nach einer Stunde zurück. – Ungefähr so, wie der Raum dann aussieht, sieht es in mir aus, wenn ich bei einem Zwang nachlässig werde. Die anderen Zwänge bemerken meine Schwäche sofort und nutzen sie aus. Die Dinge gerate außer Kontrolle. Die Zwänge werden mehr und mehr (S. 282).“
Sie wissen was zu tun ist: Just don’t do it.
Empfehlenswerte Bücher:
- Zwanghaft – Wenn obsessive Gedanken unseren Alltag bestimmen – David Adam – dtv 2016 (gut recherchiertes Buch eines Betroffenen)
- Der Kobold im Kopf: Die Zähmung der Zwangsgedanken – Lee Bear – Hogrefe 2010 (Ein amerkikanischer Psychologe berichtet von seiner Arbeit mit Zwangskranken.)
- Wenn Zwänge das Leben einengen: Der Klassiker für Betroffene – Zwangsgedanken und Zwangshandlungen – Nicolas Hoffmann, Birgit Hoffmann, Springer 2017 (guter Überblick und Anleitung zur Selbsthilfe)
- Ich tick nicht richtig: Mein Leben mit Zwängen, Ängsten und Macken – Geschichten aus meinem Neurosengarten – Hanka Rackwitz, Petra Cnyrim – mvg 2016 (humorvoller Bericht zum Thema)