Eine Hommage an Jesper Juul – Humanist, Familientherapeut und Mensch

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Jesper Juul ist gestorben. Ich bin traurig. Er war einer jener Menschen, die ich in meinem Leben gerne getroffen hätte.

Als Familientherapeut hat er ein neues Erziehungsparadigma geschaffen, das auf Beziehung, Respekt und Gleichwürdigkeit aufbaut und sich weder von dominanter, elterlicher Autorität, noch von laissez-faire und Desinteresse leiten lässt. Somit hat er mir persönlich geholfen, einen Weg zu finden der eigenen elterlichen Orientierungs- und Ratlosigkeit Herrin zu werden. Ich wollte meinen Kindern eine andere Erziehung angedeihen lassen, als ich sie in meiner Ursprungsfamilie erfahren habe. Aber wie? Aber welche? Jesper Juul hat mir geholfen, Antworten zu finden. Nicht zuletzt seinetwegen habe ich mich entschieden, systemische Familientherapeutin zu werden.

Meine Kinder sind inzwischen schon bald über das Erziehungsalter (12 Jahre) hinaus. Wenn erziehen nicht mehr geht, zeigt sich, ob die Beziehung zwischen den Familienmitgliedern stimmt. Es geht nicht um die Regeln, die aufgestellt werden, sondern um die Art und Weise, wie wir als Eltern mit Regelbrüchen umgehen. Kinder brauchen nicht ständig ermahnt zu werden. Sie orientieren sich an elterlichen Vorbildern und lernen wesentlich mehr am elterlichen Modell als von den elterlichen Ansagen. Es geht um die Kommunikationsform des Dialogs und um Kooperationsbereitschaft beiderseits. Herr Juul ging davon aus, dass Kinder von Geburt an kompetent sind. Alles, was sie für ihre Entwicklung benötigen, sind Eltern, die soziale und emotionale Präsenz zeigen.

Jesper Juul hat mein Leben als Mutter, Erziehungsberaterin und Familientherapeutin wesentlich geprägt. Er ist mein Lehrmeister, er gibt mir Antworten, er bricht komplexe Beziehungssachverhalte auf eine machbare Ebene herunter. Dafür bin ich ihm unendlich dankbar. Seine Bücher werde ich noch oft aufschlagen. Seine Worte werden mich weiterhin bereichern.

Danke Jesper Juul!

Hier einige wesentliche Aussagen Jesper Juuls:

  • Die Qualität von Eltern bemisst sich nicht nach den Regeln, die sie ihren Kindern vorgeben, sondern nach der Art ihrer Reaktion, wenn diese Regeln gebrochen werden.
  • Kinder werden mit allen sozialen und menschlichen Eigenschaften geboren. Um diese weiterzuentwickeln, brauchen sie nichts als die Gegenwart von Erwachsenen, die sich menschlich und sozial verhalten.
  • Wenn ich Kinder als kompetent bezeichne, dann meine ich damit, dass wir wichtige Dinge von ihnen lernen können. Dass sie uns durch ihre Reaktionen ermöglichen, unsere verlorene Kompetenz wiederzugewinnen und unsere unfruchtbaren, lieblosen und destruktiven Handlungsmuster loszuwerden […]. Wir müssen zu einer Form des Dialogs finden, den viele Erwachsene auch untereinander nicht beherrschen […].
  • Wenn wir unsere eigene Familie gründen, werden wir damit konfrontiert, dass die Überlebensstrategie, die in unserer Ursprungsfamilie gut funktioniert hat, in unserer neuen Familie nicht mehr so wirksam ist.
  • Viele Eltern sind nicht daran interessiert, wie ihre Kinder wirklich denken und fühlen. Sie interessieren sich mehr dafür, wie Kinder zu denken und zu fühlen haben.
  • Wenn die Erwachsenen nicht genug Zeit für sich selbst haben und die Eltern nicht für sich als Paar, dann widmen sie den Kindern unter Garantie zu viel Aufmerksamkeit. Kein Kind will Aufmerksamkeit. Es braucht Beziehung, will am Leben seiner Eltern teilhaben.
  • Die Beziehung zu einem Kind ist keine Einbahnstraße. Das Kind soll nicht nur entgegennehmen, was wir ihm geben wollen. Wir müssen auch bereit sein, das entgegenzunehmen, was unsere Kinder uns geben.
  • Betrachten Sie Ihre Familie als neues und spannendes Projekt, dessen einzelne Teilnehmer nicht von vornherein bestens qualifiziert sind.
  • Für die Atmosphäre in der Familie sind allein die Erwachsenen verantwortlich. Gefühle und Emotionen gehören ebenso dazu wie Körpersprache und Tonfall.
  • Je mehr Druck ich aufbaue, umso mehr Widerstand erzeuge ich.
  • Eltern sollten ihren Kindern gegenüber verantwortlich und treu sein. Sie sollen sich selbst nicht verleugnen, müssen zu ihren Ansichten und Erfahrungen stehen – dabei nur nicht ihre Kinder zwingen wie sie selbst zu sein.
  • Belohnung ist die postmoderne Version von Bestrafung. Das schafft keine Nähe-Beziehung. Das ist ein Verhältnis zwischen Chef und Mitarbeiter.
  • Man darf als Eltern durchaus Weinen, Schreien, Toben. Man darf das Kind nur nicht verletzen und kränken. Neoromantiker glauben, ihre Gefühle schaden dem Kind. Aber die Abwesenheit von Gefühlen schadet dem Kind!
  • Wenn wir eine Beziehung haben, gegenseitigen Respekt und eine gemeinsame Sprache, können wir über alle Ängste, Sorgen und Widerstände miteinander reden.
  • Glücklich zu sein ist keine Kunst. Die wirkliche Kunst ist zu wissen, was man tun kann, wenn man unglücklich ist.

Geheimnisse für Eltern…

Achtung: Hier wird ein Geheimnis gelüftet!!! Hier schreibe ich, was Eltern stark macht – besonders wenn die Erziehungssituation mit ihren Kindern fordert.

Also, eigentlich schreiben es Haim Omer und Philip Streit in ihrem Buch: Neue Autorität: Das Geheimnis starker Eltern. Was sie zu sagen haben ist so gut, dass es alle Eltern, Lehrer, Sozialpädagogen und Betreuer wissen sollten.  

Das Konzept der Neuen Autorität ist derzeit in aller Munde. Mir gefällt’s auch und ich erlebe es als Mutter, in der Elternberatung, im Umgang mit Kindern- und Jugendlichen und in der Supervision in Arbeitsfeldern mit oppositionellen Kindern und Jugendlichen oder beeinträchtigten Menschen, dass es ein sowohl einfaches wie brauchbares und wirkungsvolles Konzept darstellt.

Worum geht’s im Groben? Um eine Verknüpfung von Autorität und Beziehung.

Das Konzept der Neuen Autorität bezieht sich auf folgende Grundprinzipien:

  1. Elterliche Ankerfunktion: Eltern sind sicherer Hafen. Dazu müssen sie selbst gut verankert sein und von ihrer Selbstwirksamkeit überzeugt sein (vs hilflos und ratlos!). Sie sind Struktur- und Regelgeber, sind präsent, üben sich in wachsamer Sorge, unterstützen, kontrollieren sich selbst und deeskalieren.
  2. Präsenz: Eltern kümmern sich um gute Abläufe und nehmen Verantwortung für das familiäre Klima und die Gestaltung der Beziehung zwischen ihnen und ihren Kindern. In Konfliktsituationen versuchen sie zu deeskalieren, z. B. indem sie nicht unüberlegt überregieren, sondern etwas später reagieren: „Schmieden Sie das Eisen, wenn es kalt ist.“ (S. 35). Beide Eltern sollten gemeinsam handeln und sich bei Bedarf auch von Großeltern, Onkeln, Tanten, Freunde, Lehrer unterstützen lassen.
  3. Wachsame Sorge: Eltern beteiligen sich verantwortungsbewusst am Leben ihrer Kinder. Eltern stärken ihre Kinder Eigenverantwortung zu entwickeln. Die wachsame Sorge hat nichts mit Überbehütung oder Überwachung zu tun.
  4. Deeskalation und Selbstbeherrschung: Möglichkeiten sind z. B. seine Reaktion zu verzögern, wertschätzend und konstruktiv zu kommunizieren, das Wir betonen statt dem Ich und dem Du, Fehler zugeben und korrigieren, beharren statt besiegen und Beziehungsgesten einsetzen (S. 73).
  5. Unterstützung: Der Autor fordert: Geben Sie Ihre Privatsphäre auf, stehen Sie zum Problem und nehmen Sie Helfer an Board!
  6. Präsenz und Widerstand statt Bestrafen und Belohnen: Dieser von Omer entwickelte Widerstand stärkt die Eltern und die Eltern-Kind Beziehung. Es werden klare Tipps zur elterlichen Kommunikation (Wir-Botschaften) und der Durchführung von Sitzstreiks gegeben.
  7. Wiedergutmachung als Verstärkung von Entschuldigungen.

Eltern nehmen eine neue Haltung an. Sie widerstehen Provokationen, regen eine Widergutmachung an und fordern Unterstützung ein. Es geht in diesem Konzept auch um das notwendige elterliche „NEIN“. Der Ratgeber ist ein Plädoyer für das freudvolle familiäre Miteinander. Dringende Empfehlung Lesen und Ausprobieren!