„Können wir euch helfen?“

So titelt ein Artikel im Dossier der Zeit vom 22. August dieses Jahres. Einmal mehr wird der kritische psychische Zustand von Kindern und Jugendlichen ins Visier genommen. Was hier geschrieben steht, erlebe ich in meiner psychotherapeutischen Praxis ebenso.

Psychische Probleme haben in den letzten zwei Jahrzehnten massiv zugenommen: Fast jedes vierte Kind zeigt psychische Auffälligkeiten. Schädliche Megatrends wie unzureichende Maßnahmen gegen den Klimawandel, die unsichere digitale Welt, soziale Ausgrenzung, unsichere Arbeitsverhältnisse, eingeschränkter Zugang zu bezahlbarem Wohnraum und die Ungleichheit zwischen den Generationen werden von einer globalen Krise befeuert. Die Gegenwart und Zukunft für junge Menschen scheint düster. Eine Reaktion darauf sind internalisierende Störungen. So ziehen sich Betroffene mehr zurück und reagieren mit depressiven und ängstlichen Zügen oder entwickeln Somatisierungsstörungen  (körperliche Symptome ohne organische Grundlage). Das ist eine neue Tendenz von Störungen bei jungen Menschen, richteten sich früher die Symptome mehr nach Außen in Form von aggressiven oder dissozialen Reaktionen.

Wie zeigen Kinder und Jugendliche ihre Not?

Warnsignale für Eltern sind u. a. Rückzug, wenn Kinder Dinge verheimlichen, lügen, in der Schule schlechter werden oder schwänzen. Kinder, die viel weinen oder zwanghaftes Verhalten entwickeln (häufiges Händewaschen), Gewichtsabnahme, Schlafstörungen oder hohe Reizbarkeit zeigen, machen darauf aufmerksam, dass es ihnen nicht gut geht. Die Grenzen zur Essstörung, Selbstverletzung und Suizidalität sind fließend. Haus- oder Kinderärzt:innen, Familienberatungsstelle (des Landes OÖ), mobiles Familiencoaching (Diakonie), Verein Kinderhilfswerk, Kinder- und Jugendhilfe (in den Bezirken), Clearingstelle für Psychotherapie, Psychotherapeut:innen, Psycholog:innen (Projekt: Gesund aus der Krise) und psychiatrische Kinder- und Jugendlichen-Ambulanzen in den Spitälern sind Anlaufstellen. Die Wartelisten sind leider oft lange und Hilfesuche für die ohnehin schon gebeutelten Eltern zermürbend.

Was hilft, bevor es soweit kommt? Stichwort Prävention?

Viele der Risikofaktoren sind strukturelle Probleme und lassen sich nur mit politischem Willen lösen. Ein Schul- oder Gesundheitssystem, das an allen Ecken kracht und überlastet ist, hilft wenig, beim besten Zutun aller Protagonisten.

Eltern sind gefordert Vorbild zu sein. Über die eigenen Gefühle zu sprechen, offen Sorge oder Traurigkeit zu zeigen, aber auch, dass die Gefühle einen nicht übermannen, sondern das Leben weitergeht. Es hilft, wenn Eltern selber gelernt haben, unklare Situationen auszuhalten: Unsicherheitstoleranz ist gefragt!

Eltern müssen die Traurigkeit ihrer Kinder aushalten, „Stimmungsschwankungen sollte man nicht wegheitern“, schreibt Stefanie Kara und Jan Schwenkenbecher in der Zeit. Da sein, ein offenes Ohr haben, den Kindern eine Struktur geben, durchaus auch mit Regeln und Sanktionen sind Hilfestellungen für eine gute mentale Gesundheit. Eltern sollen sich darin üben, ihren Kindern etwas zuzutrauen. Damit erhalten sie die Botschaft: Du kannst das, ich trau es dir zu. D. h. negative Erfahrungen nicht präventiv aus dem Weg räumen um die Kinder zu entlasten. Scheitern und Frust zulassen. Stichwort soziale Medien: diese seien besonders dann gefährlich für die Psyche, wenn es einem psychisch ohnehin nicht so gut geht. Von psychotherapeutischer Seite wird geraten, diese vor allem dann einzuschränken, wenn sich das Kind zurückzieht. Das bringt Konflikte, aber da müsse man als Eltern durch, sagen die Experten. Kein Handy beim Essen oder nach 20.00 Uhr ist eine mögliche Regel, der man auch als Eltern folgen sollte. Ein geregelter Tagesablauf, feste Schlafenszeiten, regelmäßige Mahlzeiten, den jungen Leuten im Alltag nicht alles abnehmen – das alles ist gut für die psychische Gesundheit.

Bei aller Schwere, medial, in der Familie, im Leben der Jugendlichen, das Leben muss weitergehen. Das Leben geht weiter. Machen wir das Beste daraus!

Mit offenen Augen und radikaler Hoffnung steuern wir dem Nordstern zu …

oder gemeinsam für eine (geschlechter)-gerechte Welt des Wirs. So ähnlich könnte die Kürzestfassung von Barbara Blahas Vortrag lauten, den sie gestern in Ried gehalten hat.

Barbara Blaha ist Gründerin des momentum-Instituts www.momentum-institut.at, das zu Klima, Arbeit, Steuern, Politik und Verteilung forscht.

Stichwort Verteilung: Eine faire Entschädigung für bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit für alle Menschen kann nur gelingen, wenn in unserer Gesellschaft einige Weichen neu gestellt werden:

  • Kinderbetreuung und Familienverantwortung (fair)teilen
  • Institutionelle Kinderbetreuung
  • Monetäre Aufwertung der typischen Frauenberufe, die schließlich systemerhaltend sind (Handel, Pflege, Reinigung etc.)
  • Betreuungszeiten für Pension aufwerten
  • Armut von Kindern, Alleinerziehenden und Frauen im Alter bekämpfen.

Gedankensprung: Tatsache ist, dass das Patriarchat auch die Männer deformiert. Das klassische Männerbild hält Männer Vollzeit in Jobs und der Kontakt zu ihren Kindern ist dadurch eingeschränkt, während die Frauen in Teilzeit allzeitzuständig sind und sich dabei zersprageln. Diese gesellschaftspolitischen Zustände holen mich tagtäglich in meiner therapeutischen Arbeit ein, weil es die Themen aller Menschen sind, Männer wie Frauen und die der Kinder in Folge sowieso. Die gerechte Verteilung beeinflusst, wie sich Beziehungen entwickeln und gestaltet werden können.

Mir taugt, wie Barbara Blaha Fakten zusammenführt und auf den Punkt bringt. Sie trägt dazu bei, sachlich aber auch kämpferisch die Geschlechtergerechtigkeit voranzutreiben. Als Arbeiterkind (ein solches bin ich auch) konnten wir in unserer Kindheit Privilegierteren beim Leben zuschauen. Als Frauen können wir es immer noch, wenn überhaupt dafür Zeit bleibt, denn: Frauen müssen 43 % mehr Care Arbeit erledigen. Das ist schon gewaltig viel Zeit, die beim Geldverdienen und für die Regeneration fehlt.

Damit geben wir uns hoffentlich nicht zufrieden!

Was tun? Erstens nicht aufgeben. Kritisch Sein. Bewusstmachung. Den Diskurs nicht scheuen.  Jeder und jede kann da wo er oder sie steht und lebt dazu beitragen, dass wir uns ein Stückchen annähern an diese gerechtere Welt für alle. Der Nordstern zeigt uns den Weg.

A nice „thougth“ from the booklet Positive Thoughts from Portobello Road from Charlotte Preval-Reed who wrote, illustrated and sold this book herself.

Der passive Therapieeinsatz eines Hundes …

Die entstressende, beruhigende Wirkung eines in der Therapie anwesenden, freundlichen Hundes ist gut belegt. Tierkontakt hat positive Effekte auf die körperliche und psychische Gesundheit von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Alten. Die Anwesenheit eines Hundes in der Psychotherapie erhöht das Interesse an der sozialen Welt, verbessert das Sozialverhalten und erhöht die Bereitschaft zu interagieren. Die Integration des Hundes in die Therapie macht diese nicht mühsamer, sondern gleichzeitig leichter und tiefer.

Wenn Psychotherapie das Anliegen hat, mit dem Patienten gemeinsam hinter die äußere Fassade zu gehen, weil dort die Probleme und Ressourcen liegen, dann ermöglicht die Integration eines Hundes, diese tiefen Schichten leicht und natürlich anzusprechen.

Angeblich war auch Sigmund Freuds Hündin Jofie regelmäßig bei den Therapien dabei, weil seiner Meinung nach ihre Anwesenheit seine Patienten beruhigte. Freud hat die Gegenwart eines Hundes während der Therapie wohl nicht gezielt eingesetzt, aber eine Anekdote berichtet, wie er dessen Verhalten, wenigstens in diesem Fall, in die Therapie eingebracht hat:

Es muss in den letzten Jahren von Freuds Praxis in Wien gewesen sein, als der amerikanische junge Arzt eine kürzere Analyse bei Freud aufnahm. Wegen der Kürze der Zeit sollte die analytische Arbeit zügig vorangehen. Allein, in der hier berichteten Stunde wollte dem Analysanden keine Assoziationen einfallen. Die Abwehr war wohl deutlich im Raum in der Form eines langen Schweigens. Schließlich stand der anwesende Hund auf, ging zur Türe und wollte offensichtlich herausgelassen werden. Freud sei aufgestanden, habe dem Hund aufgemacht und wiederkehrend zu seinem Analysanden gesagt: „Schauen’s, selbst dem Hund ist es heute zu langweilig!“ Das Schweigen ging weiter, sodass das Scharren an der Türe nach einer Weile deutlich zu hören war. Freud stand wieder auf, öffnete dem Hund, schloss die Türe und sagte seinem Analysanden: „Nun gibt Ihnen der Hund noch mal eine weitere Chance, lassen sie uns weitermachen!“ (Janko u. Milch 2009, 401 in Ganser).

Freud geht in diesem Fall über das Vertrauen auf die beruhigende Wirkung des Hundes hinaus und unterstellt dem Tier, dass dessen Verhalten eine Reaktion auf das Geschehen im Raum ist. Diese Vermutung ist nicht abwegig. Weiters nutzt Freud das Verhalten des Hundes, um eine spürbare, aber noch nicht symbolisierte Atmosphäre im Raum in Worte zu fassen.

Amy ist als Therapiehündin in Ausbildung eine Meisterin darin uns zu zeigen, wie am Besten gelebt wird: Im Augenblick. Lassen Sie sich anstecken! Die antidepressive Wirkung ist empirisch belegt.

Aus: Ganser, G. (2020): Hundegestützte Psychotherapie – Einbindung eines Hundes in die psychotherapeutische Praxis. Schattauer. Stuttgart

Buchempfehlung: Patriarchale Belastungsstörung – Geschlecht, Klasse und Psyche

Die sehr geniale Beatrice Frasl stellt unserer Gesellschaft und Zeit eine Diagnose aus, wie sie (noch) nicht in der Klassifikation von Störungen (ICD-10) vorkommt, nämlich: die patriarchale Belastungsstörung.

Zum Einen erörtert sie die Schwierigkeiten, die Menschen aller Geschlechter betreffen, wenn sie psychisch erkranken. Für diese Menschen gibt es kaum Kassenplätze, weder für psychiatrische Fachärzt:innen noch für Psychotherapeut:innen und, falls dafür Kontingente vorgesehen sind, ist mit langen Wartezeiten zu rechnen. Psychotherapie ist für viele Menschen eine nicht finanzierbare Gesundheitsleistung. „Überdurchschnittlich betroffen sind dabei Frauen, denn strukturelle Faktoren sind mitunter ausschlaggebend, wenn es um psychische Krankheiten geht. Frausein im Patriarchat bedeutet Gefährdung auf vielen Ebenen: Prekäre Lebensumstände, körperliche und psychische Gewalt, die Doppelbelastung durch Arbeit und Care-Arbeit – all das wirkt sich auf die mentale Gesundheit von Frauen und den Zugang zu Hilfsangeboten aus.“

Sie beleuchtet die Ungleichheit auf vielen Ebenen: U. a. Wohlstand, (freie) Zeit, sinnstiftende Arbeit, Vereinzelung, Sicherheit, sowie Schönheits- und Schlankheitsdiktat und stellt eine Verbindung zwischen Patriarchat und psychischer Gesundheit her. Ich kann ihr nur zustimmen, wenn sie meint: „Es reicht nicht, psychische Gesundheit und Krankheit als ein Problem von Individuen zu sehen. Ein kurativer Zugang ist nicht genug, wir dürfen nicht nur erkrankte Individuen behandeln, wir müssen radikal die systemischen Bedingungen heilen, an denen sie erkranken.“

Dabei erwähnt sie die Schaffung einer besseren Versorgung durch generell kostenfreien Zugang zu Psychotherapie. Dazu müsste die Ausbildung für Psychotherapeut:innen an öffentlichen Universitäten zu regulären Studiengebühren angeboten werden. Mehr Akutpsychiatriebetten, mehr Versorgungsmöglichkeiten auch im ruralen Raum und eine Anlaufstelle, die alle Angebote vernetzt und vermittelt, denn für Menschen in der Krise ist das ein oft unüberwindbarer Hürdenlauf.

Umverteilung von Wohlstand und Arbeit wird als zweiter Meilenstein genannt. Weiters fordert sie Gesundheitskompetenz und Psychoedukation als Unterrichtsfach (hier setzt mein Traum vom Unterrichtsfach Beziehung an) und einen psychiatrischen Paradigmenwechsel. Sie beschreibt eine Abkehr vom medizinisch-biologischen Modell, weg von der breitflächigen Verschreibung von Psychopharmaka, hin zu einem ganzheitlichen Modell in Form von Psychotherapie, Therapiegruppen, Social Prescribing, Beschäftigung und Beziehung. Frasl weiß nur zu gut, wovon sie schreibt, ist sie doch selber vertraut mit einer depressiven Erkrankung.

Sie schließt mit folgenden Zeilen: „Wir sollten Menschen als Menschen behandeln, nicht als Summe von Diagnosen. Armut, Unterdrückung, soziale Ungleichheit, Ausgrenzung, Diskriminierung, Gewalterfahrung, Traumatisierung sollten nicht als Problem im Kopf der Betroffenen pathologisiert werden. Die Individualisierung psychischer Erkrankung muss aufhören, systemische Probleme, die krank machen, müssen in den Fokus rücken. Systemwandel ist ein wesentlicher Bestandteil der Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen. Es braucht einen umfassenden Umbau unserer Gesellschaft und des Gesundheitssystems. Fangen wir an.“

Ein besseres Leben ist möglich. Für uns alle!

Anmerkungen:

Social Prescribing: ein in Großbritannien von Health Professionals angewandtes Modell. Menschen werden sinnstiftende Tätigkeiten oder Gemeinschaft mit anderen – Freiwilligenarbeit, kreative Tätigkeiten, Lerngruppen, Sport etc. verschrieben. Mittlerweile gibt es dort über 100 Zentren, die Kontakte und Möglichkeiten für Menschen schaffen, anstatt sie mit einem Rezept nach Hause zu schicken. Das wär doch auch was für unser Land!

Empfehlung: Beatrice Frasl gestaltet einen sehr hörenswerten podcast. „Große Töchter“ heißt er. Link: https://grossetoechter.podbean.com/.

Geduld als stets vorhandene Alternative in einer ruhelosen Welt

In der therapeutischen Arbeit geht es unter anderem um die Aktivierung von Ressourcen. Eine Ressource ist etwas, das Menschen unterstützt, die Herausforderungen die das Leben stellt, zu meistern. Das können Menschen sein, Tiere, Beschäftigungen, Talente, die Natur etc. Eben alles, was dazu beiträgt, dass die Hürden des Lebens überwindbarer werden.

Ich beziehe mich auf Bettina Siebert-Blaesing, die in der Zeitschrift Familiendynamik (47, 276-283) Geduld als Ressource und als Tool zur Gesundheitsförderung in Zeiten von Krise und Selbstoptimierung beforscht und beschrieben hat.

Alles schön und gut, aber wie kommen wir und vor allem junge Menschen zu Geduld?

Förderliche Lernbedingungen für diese Ressource ist das „Lernen am Modell“ (von Bandura), also das Abschauen von Verhalten der relevanten Bezugspersonen. Wieder ist es scheinbar das mütterliche Ruheverhalten, das besonders dazu beiträgt. (Wahrscheinlich wäre das väterliche, ruhige Verhalten genauso tauglich, aber in den meisten Welten, sind es die Mütter, die das Hauptrollenmodell für ihre Kinder abgeben). Geduld ist das Warten auf Erwünschtes und das Aushalten und Verzichten darauf. Stichwort Frustrationstoleranz. Diese können Kinder von klein auf schulen, indem ihnen genau das zugemutet wird. In einer Welt, in der Konsumwünsche fast jederzeit erfüllt werden können, oder mit Hilfe von Google jede Frage sekundenschnell beantwortet werden kann, blitzschnelle whats app Kommunikation tagelangen Postweg ersetzt, um nur einige Beispiele zu nennen, ist genau das für unsere jungen Leute gar nicht so leicht.

Gesellschaftsspiele sind eine perfekte Übung. Kinder lernen zu warten bis sie drankommen und auch zu verlieren. Weiters werden empathische und motivierende Lernbegleiter, die eine wertschätzende und geduldige Lernkultur prägen, als geduldfördernd genannt. Statt Bildungs- und Erfolgsdruck braucht es Muße und Ritualisierung. Erfolgsdruck behindert das Erlernen von Geduld sowie leider auch anderer Softskills wie Empathie, Konfliktbereitschaft und Kreativität. Der Selbstoptimierungswahn (powered by social media) gefährdet die sorgsame Reifung der Persönlichkeit junger Menschen. Früh, selbstbestimmt und in Ruhe eigene Entscheidungen treffen zu dürfen ist nicht nur die beste burn-out Prophylaxe, sondern pusht auch die Geduld.

Eine Verwandte der Geduld, die Achtsamkeit (die Fokussierung auf das Hier und Jetzt, also das gegenwärtige Erleben) ist ebenso eine wesentliche Lebensressource. Geduld aber meint das Durchhalten in einem längeren Prozess. Oft wird Geduld als Lebensressource erst in einer krisenhaften Phase gelernt. Impulse aus der Hirnforschung, systemischer und burn-out Forschung, Reflexionen zu Spiritualität und Mystik, sowie zur Achtsamkeit legen nahe, dass junge Menschen sich vor allem dann in Geduld schulen, wenn sie im Leben mit Krisen konfrontiert werden und ihnen das Durchstehen dieser zugemutet wird.

Erfahrungen des Gelingens, des Erfolgs und Geliebt-Werdens auch Scheitern, Ausgrenzung, Nicht-Gemocht-Werden, Demütigung, Überforderung, Krankheit, Einsamkeit, Armut, Sterben, Unsicherheit und Hilflosigkeit und kleinere Frustrationen können helfen, die wichtige Lebens- und Entwicklungsressource Geduld zu lernen, sofern wohlwollende Begleiter:innen den jungen Menschen geduldig begegnen. Für die Therapie mit Heranwachsenden lässt sich aus der Studie ableiten, dass ein kurzfristiges Training weniger bewirkt als eine dialogische Begegnungssituation. Die letztere, wie es etwas eine Therapiesitzung schafft, dient als nachhaltige Lernerfahrung.

Unsere derzeitig sehr krisenhaft scheinende Zeit schreit eigentlich nach einem Mehr an Geduld, um der Ohnmacht, der Wut und der Angst her zu werden, die uns alle bedroht.

Gefühle wie Ruhe, Gelassenheit und innerer Frieden entstehen, wenn Geduld erlebt und gelebt wird.

Podcasts zur Unterstützung und Veränderung in Paarbeziehungen und in der Beziehung zu mir selbst

Hier möchte ich einige Podcasts teilen, die persönliches Wachstum unterstützen und psychoedukative Funktion haben.

So ganz nach dem Motto: „Es muss nicht immer Therapie sein.“

Ist das normal? (Zeit online):

Inhaltlich werden alle Themen rund um Beziehung, Verbindung, Erotik, Zärtlichkeit und Sexualität besprochen. Sehr empfehlen kann ich die Folgen: „Wenn sich Paare wieder in den Arm nehmen, dann tut sich was“ und „Sex muss kein Ziel haben, schon gar nicht den Orgasmus“.

In der ersten geht es darum dass es wichtig ist, das Vergnügen vor die Arbeit – auch die Beziehungsarbeit zu stellen. Noch immer gibt es kein Schulfach, dass Beziehung führen lernt. Richtungsweisende Vorbilder in punkto Partnerschaft, z. B. durch Eltern fehlen häufig. In dieser podcast Folge hört man, was man sofort für mehr Beziehungsglück tun kann und dass es auch Sinn macht, alleine mit Veränderungen zu starten, wenn der Partner noch nichts verändern will. So viel sei verraten: Wenn sich Paare wieder in den Arm nehmen, dann tut sich was (eine Minute aufwärts, sanft, liebevoll, zugewandt, täglich mehrmals …. das ist ein Anfang)!

Die Intimitätscoachin Yella Cremer spricht in der zweiten Folge über Slow Sex. Dieser ist ergebnisoffen, hat keine Vorbedingungen und ist absichtslos. Es gibt viele Arten von gutem Sex. Slow Sex ist eine davon. Er entspannt, schafft eine Nähe und Verbindung, die weit über Lust und Erregung hinausgeht und kann tagelang nachwirken. Auch für Paare, die schon lange keinen Sex mehr hatten, oder körperliche Schwierigkeiten dabei haben, sei Slow Sex eine Spielart, die den Druck rausnimmt. Die Expertin meint, Sex sei eine Kulturleistung, die sich lernen lässt. Ein guter Liebhaber oder eine gute Liebhaberin für das Gegenüber werden zu wollen, schließt lernen und ausprobieren mit ein. Warum nicht zum Sex verabreden, Räume dafür schaffen, oder Intimität intensiver in die Lebensplanung einbeziehen, wie ein geliebtes Hobby, wofür man auch Zeit reservieren muss und lernen unabdingbar ist?!

Paula: Lieben Lernen

Alles rund um Beziehungen. Paula spricht mit ihren Gästen und Gästinnen über ihre Erfahrungen in Beziehungen und versucht Lösungen zu finden, wie man mit konkreten Situationen umgehen kann.

Dear Therapists with Lori Gottlieb and Guy Winch:

Dieser podcast ist in englischer Sprache. Die TherapeutInnen Lauri Gottlieb und Guy Winch versuchen Therapiesitzungen für alle zu öffnen und vertrauen darauf, dass jede und jeder der zuhört, auch davon profitiert. Finde ich übrigens auch!

Und noch ein fantastischer englischer podcast: Ask Kati Anything! Die Familientherapeutin Kati Morton gibt Antworten zu allen (wirklich allen!) Fragen der mentalen Gesundheit. Sie ist einfach großartig!

Darf Psychotherapie politisch sein?

In den letzten Monaten scheinen sich in meiner psychotherapeutischen Praxis die Anfragen von Frauen, die an großer Erschöpfung, Überlastungssyndrome, Schlafstörungen oder Depression leiden, zu häufen. Im besten Fall interpretiere ich dieses Aufkommen als Phänomen, welches aussagt, dass Frauen gut auf sich achten, ihre Beschwerden ernst nehmen und sich Hilfe organisieren und gönnen.

Dennoch kommt bei mir ein ungutes Gefühl hoch. Ich kann mich nicht gegen den Eindruck erwehren, dass es sich hierbei nicht ausschließlich um ein individuelles Problem handelt, dass sich als ebensolches demnach auch nicht individuell lösen lässt. Spätestens die Pandemie mit den vermehrten Anforderungen an Eltern durch homeschooling und anderen, oft zusätzlichen Pflege- und Betreuungsaufgaben hat vor allem den Müttern viel abverlangt, da sie den größeren Brocken an unbezahlter Sorgearbeit (Stichwort: care-Arbeit), mentaler und emotionaler Belastung stemmen. Frauen steht die berufliche Welt vermeintlich so offen, wie nie zuvor. Dennoch arbeiten sie häufig – nicht zuletzt wegen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – in weniger angesehenen und schlechter bezahlten (Teilzeit)jobs.

Die Schweizer Soziologin Franziska Schutzbach hat ein Buch veröffentlicht, das dieses von mir beobachtete Phänomen – nämlich erschöpfte weibliche Frauen (in meinem Fall Klientinnen) – beschreibt. Die Kernaussage ihres Buches „Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit“ lautet, dass von Frauen verlangt wird, permanent verfügbar zu sein: familiär, beruflich, sexuell und gesellschaftlich. Gleichzeitig wird ein Großteil der unbezahlten Pflege- und Sorgearbeit weltweit von Frauen verrichtet. Schutzbach analysiert ein System, das wie sie meint, „von Frauen alles erwartet, aber nichts zurückgibt.“ Die Lösung würde demnach nicht an der individuellen Verbesserung z. B. der Work-Life-Balance, besseres Zeitmanagement, individuelle Optimierung etc. liegen, sondern im Widerstand und der Auflehnung gegen das System.

Ich frage mich, ob ich als Psychotherapeutin in der Beratung oder Therapie unpolitisch bleiben kann, soll oder muss. Geht das überhaupt?

Wenn ich dann von einer jungen Mutter (selber Kindergartenpädagogin) erzählt bekomme, dass sich die weiblichen Angestellten in der Bildungseinrichtung Krabbelstube oder Kindergarten wundern, wenn Mütter ihre Kinder mehr Stunden zur Betreuung anmelden, als ihre Erwerbsarbeit dauert, muss ich mich wundern.

Es kann entlastend sein durchzudenken, dass diese weibliche Erschöpfung nicht nur hausgemacht ist. Nicht alles hat mit der eigenen Lebensgestaltung zu tun. Manche Probleme sind von einer Einzelnen, einem Einzelnen nicht zu lösen. Die Soziologin Frau Schutzbach meint in der Ö1 Sendung „Im Gespräch“ vom 10. März 2022 dass es hilfreich sein kann, die Wut, die aus der Erschöpfung resultiert, zuzulassen. Diese kann eine Kraftquelle für Veränderung sein – eine visionäre Wut wohlgemerkt, nicht eine die in Hass umschlägt. Mütter in Amerika haben sich zum „primal mum scream“ getroffen. Ein gemeinsames Schreien gegen den Pandemiefrust mit einer starken feministischen Botschaft, die darauf hinweist, dass es nicht fair ist, den Frauen die familiäre Mehrarbeit der Pandemie schultern zu lassen. Der Standard hat am 7. Februar 2022 von dieser kreativen Aktion berichtet.

In mir entsteht eine große Sehnsucht, dass wir Frauen doch solidarischer sein sollten, kritischer und mehr aufbegehren in dieser Welt, die für Männer einfach bequemer ist. – Und, im Umkehrschluss, dass Männer erkennen, wie ungerecht Sorgearbeit, Vermögen, Macht, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung verteilt sind und ihren Teil beitragen, dass sich aus der weiblichen Erschöpfung eine angenehme Müdigkeit für alle Menschen ergibt.

Es läutet. Der nächste erschöpfte Mensch steht vor der Tür.

Neu im Team!

Seit Oktober 2021 begleitet mich Little Amy fallweise zu den Therapiestunden. Unsere Golden Retriever Welpe ist noch jung und (manchmal) ungestüm. Sie ist sehr motiviert und lernwillig und vielleicht auf dem Sprung, Teil eines wunderbaren Mensch-Hunde-Teams zu werden und mich in Zukunft als Therapiehündin zu unterstützen. Einstweilen darf sie noch Hundekind sein und ab und an Praxisluft schnuppern.

Falls Sie sich für mich als Ihre Therapeutin interessieren, sollten Sie wissen, dass es Amy gibt. Wenn Sie ein Hund irritiert, geben Sie mir bitte bei der Vereinbarung des Erstgespräches Bescheid.

Aufgeweckt … mit 12 Wochen
Hundemüde Amy mit 4,5 Monaten …

Lesen …

… ist eine Möglichkeit den veränderten Lebensbedingungen zu begegnen, eine Gegenwelt zu kreieren und der Monotonie des Alltags zu entfliehen. Den Kopf zwischen zwei Buchseiten zu vergraben kann als Mittel der Entschleunigung, als Chance abzuschalten, sowie als seelisches Heilmittel gesehen werden (Lesen als Medizin, Bibliotherapie)! Tauchen Sie ein in die Lebenswelt der ProtagonistInnen, sehen Sie die Welt mit deren Augen, staunen Sie, was alles möglich ist, wie innere Monologe anderer ablaufen. Lassen Sie sich inspirieren. Der seelischen Gesundheit wird es keinesfalls schaden, so viel darf gesagt werden.

Aber, und hier hält Sascha Michel in seinem Essay: Die Unruhe der Bücher – Vom Lesen und was es mit uns macht – entgegen, dass es eben das auch gerade das oben erwähnte nicht immer ist. Es sei ein Herd der Unruhe und Kontingenz. Er meint was wir kultivieren sollten, ist ein aufregendes, ein chaotisches, ein lebendiges Lesen.

„Das richtige Lesen ist manchmal ein Tanz, manchmal ein Spiel, manchmal ein Spaziergang, manchmal ein ernstes Wort von Mensch zu Mensch, manchmal eine Expedition, manchmal aber auch ein Kampf.“ (D. Knipphals in Michel)

Das Gefährliche am Lesen ist ja, dass möglicherweise Sehnsüchte geweckt werden, die sich im richtigen Leben nicht stillen lassen. Hier muss man sich entscheiden, ob man das möchte, z. B. in ferne Länder reisen – nach Japan und dann doch wieder nicht tatsächlich dort zu sein. Aber ehrlich – auch im richtigen Leben führen ja die wenigsten Fernreisen bei den Reisenden zu mehr Offenheit und Selbstbefragung, oder?

Unser Erfahrungsraum wird durch das Lesen immer länger und länger und das kann ja besonders im Moment gut tun. So meint Ilja Trojanow in seinem Buch Der Weltensammler:

„Ich lese, um überrascht zu werden, um konfrontiert zu werden, um herausgefordert zu werden, um geschockt zu werden. Ich lese lieber meine Feinde als meine Freunde. Lieber verstehe ich nichts, als alles. Statt bestimmte Farben der Palette und Töne der Skala zu ignorieren, sollten wir die existierende Vielfalt wahrnehmen. Wenn Sie in einer Buchhandlung spontan denken: „Davon habe ich noch nie etwas gehört,“ – greifen Sie zu!“

Ich kann nur sagen, lassen Sie sich überraschen und schockieren. Eine der besten Anti-Pandemie Arzneien, die derzeit erhältlich ist. Greifen Sie zum Buch.